Soziales Unternehmertum wird gesellschaftsfähig

Wo Staat und Wohlfahrtsverbände sich schwer tun, gehen soziale Unternehmer und engagierte Jugendliche neue Wege: Mit Geschäftssinn und einem Blick für innovative Ansätze suchen sie Lösungen für drängende Probleme unserer Gesellschaft – und werden hierbei von Unternehmen wie SAP unterstützt.

Mit zwei Freunden habe ich das Projekt Ende 2010 gestartet. Die Idee des Weltbürgers hat bei mir einen Nerv getroffen. In Schulen in Berlin und Mainz versuchen wir mit unseren Botschaftern deshalb, ab der achten Klasse Themen wie Herkunft, und Identität mit Coolness und Methoden, die Spaß machen, rüberzubringen. Jetzt überlegen wir uns auch, wie wir das Projekt nachhaltiger gestalten können, etwa indem auch Lehrer die Inhalte regelmäßig vermitteln. www.weareworldcitizen.de

Hans Storck, 21, ist Stipendiat beim Programm Engagement mit Perspektive (PEP). Er möchte durch die Begegnungsplattform „World Citizen“ interkulturelle Konflikte abbauen und für Völkerverständigung werben.

Bei einem meiner Kinder wurde das Asperger-Syndrom diagnostiziert. Ich war fasziniert vom analytischlogischen Denkvermögen, das Autisten aufweisen. Daher kam der Gedanke ein Unternehmen aufzubauen, das ihre speziellen Fähigkeiten und Bedürfnisse berücksichtigt. Dabei verstehen wir uns als ganz normales IT-Unternehmen. Job-Coaches fungieren als Schnittstelle zum Kunden und unterstützen im Hintergrund. Unser Ziel ist es, in den nächsten fünf Jahren mindestens 50 zusätzlic„he Arbeitsplätze zu schaffen. www.auticon.de

Dirk Müller-Remus, 55, ist Geschäftsführer der Auticon GmbH, die Menschen mit Asperger-Autismus zu Software-Testern ausbildet. In Berlin beschäftigt das Unternehmen bereits acht Menschen. Sie prüfen zum Beispiel Web-Auftritte, Steuerungsprogramme für Fahrzeuge oder Unternehmenssoftware.k

Ende 2010 hatten Freunde einen erfolgreichen Imagefilm online gestellt, der das Thema .hiv-Domains behandelte. Daraus entstand schließlich das Projekt. Wir haben ein großes Unterstützernetzwerk. 2013 werden wir am 1. Dezember, dem Welt-Aids-Tag, online gehen. Dann müssen wir den Vertrieb und die Vergabe der Gelder hinbekommen – zusammen mit erfahrenen Partnern.www.dothiv.org

Carolin Silbernagl, 31, ist Projektmanagerin des Vereins dotHIV. Durch die Vermarktung der Domain „.hiv“ verdient der Verein Geld zur Bekämpfung von HIV/Aids. Förderwürdige Projekte werden dann über betterplace.org gesucht.

Ich kam auf die Idee, weil in meiner WG dauernd Flaschen rumstanden und sie keiner wegbringen wollte. Die Pfandsammler sagten gleich „ja klar, ich bin dabei, hier hast du meine Nummer“. Beide Seiten haben etwas davon. So ist das Projekt entstanden. Es läuft gut, muss aber definitiv noch bekannter werden. Besonders gut gefiel mir das Feedback eines Sammlers, der sich abmeldete und schrieb: „Pfandgeben hat mir über eine schwierige Zeit geholfen, aber jetzt habe ich wieder einen Job gefunden.“ www.pfandgeben.de

Jonas Kakoschke, 29, betreibt seit Juli 2011 die Plattform pfandgeben.de, über die leere Pfandflaschen an Pfandsammler vermittelt werden. Nach Städten und Stadteilen aufgeschlüsselt finden sich auf der Webseite Telefonnummern von etwa 1.300 registrierten Sammlern, die sich mit der Rückgabe der Flaschen ihren Lebensunterhalt sichern können. Bei Anruf holen sie das Pfandgut beim Spender zuhause ab.

Nur von außen erinnert die Denkfabrik der Social Entrepreneurs an einen alten Industriebetrieb: Rote Klinkerwände, Gehäuse von Lastenaufzügen, Lieferwagen und stählerne Türen dominieren das Bild im zweiten Hinterhof eines Altbaus in Berlin-Kreuzberg. Doch die Aufzüge wurden schon lange abmontiert, Industrielärm und Kohleöfen sind verschwunden. Durch den ersten Aufgang des Hinterhofs geht es durch das alte Treppenhaus hinauf. Hier befindet sich heute eine Denkschmiede der besonderen Art: das Social Impact Lab. Hier sitzen die jungen Sozialunternehmer des „Social Impact Enterprises“ und des Programms „Engagement mit Perspektive“ (PEP). Die Jungunternehmer wollen mit unternehmerischen Lösungen sowie mit kreativen und innovativen Ideen zu zu einer sozialeren Gesellschaft beitragen. Diesen Grundgedanken fasst der Begriff Social Entrepreneurship, zu Deutsch Sozialunternehmertum, zusammen. Soziale Herausforderungen sollen auf unternehmerische Weise gelöst werden.

Förderung von innovativen Ideen

Das Social Impact Lab, ein Labor für soziale Innovationen, wurde von der Beratungsfirma iq consult eingerichtet. Die helle Fabriketage ist ein Co-Working Space: Menschen, die ihre sozialen Ideen weiterentwickeln wollen, können hier einen Arbeitsplatz mieten. Die zwanglose Atmosphäre erleichtert den Austausch untereinander. Gründer des Social Impact Labs ist Norbert Kunz, einer der renommiertesten Sozialunternehmer Deutschlands. Kunz beschreibt sein Unternehmen als Agentur und Think Tank für soziale Innovationen. Er weiß, dass Gründer Mut zum Risiko besitzen müssen. Deshalb setzt er auf das Projekt „Social Impact Enterprises“. Es wurde von iq consult gemeinsam mit SAP und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ins Leben gerufen. Mit fachlicher Kompetenz unterstützen die Partner ungewöhnliche Ideen und Herangehensweisen in einem achtmonatigen Stipendium. Angehende Social Entrepreneurs erhalten in dieser Zeit einen Arbeitsplatz, Coachingstunden, Weiterbildung sowie einen SAP-Mentor, der sie beispielsweise bei der Erstellung eines Businessplans unterstützt. Um in das Programm aufgenommen zu werden, müssen Bewerber ihre Idee in einem öffentlichen „Pitch“ vor einem Publikum und einer Fachjury präsentieren.

In denselben Räumen, in denen die Social Impact-Stipendiaten arbeiten, sitzen auch die Macher von PEP. Initiiert von Ashoka Deutschland und SAP, unterstützt PEP ehrenamtlich tätige Jugendliche zwischen 16 und 27 Jahren. Die Idee ist einfach: Mit kreativen Ansätzen und Unternehmergeist wollen die jungen Leute zum Beispiel mit ihren eigenen Vereinen zu einem Wandel in der Gesellschaft beitragen. „Es gibt wahnsinnig viele junge Menschen da draußen, die sich engagieren, aber nur sehr wenige schaffen eine Professionalisierung ihres Engagements. Mit PEP haben wir eines der ersten Angebote geschaffen, das sich an diese Zielgruppe richtet und dabei hilft, ihr Engagement auf ein neues Level zu heben“, kommentiert Dennis HoenigOhnsorg, Programmleiter bei Ashoka.

Bei PEP erhalten Jugendliche ein einjähriges Stipendium, das sie finanziell entlastet und ihnen so Freiraum für ihr Engagement bietet. Gerade die SAP-Mentoren mit ihrer Praxiserfahrung sind für die jungen Stipendiaten von großer Bedeutung. Im Rahmen von PEP werden aktuell unter anderem ein Projekt zur Verbesserung der Bildungschancen von Schülern mit Migrationshintergrund in Wiesbaden sowie eine von Berliner Schülern aufgebaute interkulturelle Begegnungsplattform gefördert.

Neue Herausforderungen brauchen neue Lösungen

In Deutschland beginnt man gerade das Potenzial von Sozialunternehmertum zu entdecken. Immer anerkannter wird der Weg, soziale Herausforderungen nachhaltig und wirtschaftlich zu lösen. Sozialunternehmertum koppelt betriebswirtschaftliche Kriterien wie die Messbarkeit von Erfolg mit der sozialen Wirksamkeit. Diesen Ansatz sehen die jungen Gründer oftmals als den Schlüssel zu Problemen, mit deren Lösung sich der Staat und öffentliche Akteure schwertun. Das Konzept wird in allen sozialen Bereichen angewendet, zum Beispiel auf die demografische Entwicklung, die Integration von Migranten, den Fachkräftemangel, die soziale Spaltung und ökologische Probleme. „Für diese Herausforderungen wurde unser Wohlfahrtssystem der 60er und 70er Jahre nicht geschaffen“, erklärt iq consult-Gründer Kunz.

Innovativ, originell und wirksam

Genau diese Herausforderungen packen die insgesamt 40 Stipendiaten des ersten Jahrgangs der Social Impact Enterprises an – und widmen sich dabei ganz unterschiedlichen Problemen. Es geht um Flaschenpfandsammler in deutschen Großstädten, Werbung für den Kampf gegen Aids oder die Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit in Äthiopien. Wenn die Themen auch unterschiedlich sind, eines haben alle gemeinsam: Sie zeichnen sich durch Innovation und Originalität, Wirksamkeit und eine betriebswirtschaftliche Umsetzbarkeit der Vorhaben aus. Für SAP war die eigene Gründungsgeschichte ein Ansporn, die jungen Sozialunternehmer zu unterstützen. 1972 hatten fünf junge Männer eine Idee, an die sie glaubten. Diese Idee hat die Art, wie Unternehmen ihre Betriebsabläufe steuern, nachhaltig verändert: Heute arbeiten weltweit über 60.000 Menschen für SAP.

Risikokapital für eine soziale Gesellschaft

Bleibt die Frage nach der BedeutungdessozialenUnternehmertums. Dennis Hoenig-Ohnsorg von Ashoka betont, dass erfolgreiche Sozialunternehmer unsere Gesellschaft verändern können. Die Investitionen von SAP und Ashoka in soziale Innovationen versteht er im besten Sinne als „Risikokapital“. Der Sozialstaat und die neuen sozialen Unternehmer können sich seiner Ansicht nach ergänzen: „Wir haben nicht den Anspruch, ein Parallelsystem zu schaffen. Großen Strukturen fällt es schwer, Innovationen voranzutreiben. Der Staat und die Wohlfahrtsverbände sind jedoch bei der Verbreitung von Innovationen extrem hilfreich.“